In diesem Jahr soll es endlich etwas werden: Telefonieren und eine Desktop-Version bzw. ein Browser-Zugang sollen bei WhatsApp in Vorbereitung sein. Fünf Jahre lang hat sich der Messenger optisch und funktional kaum weiterentwickelt. Der weltweite Erfolg – Platz 3 der meistinstallierten Apps 2014 – bleibt mir ein Rätsel. Denn aufgefallen ist die App bisher vor allem durch eins: unzählige Sicherheitslücken (siehe Historie weiter unten).

Dennoch ist und bleibt WhatsApp ein Massenphänomen – dem konnten mangelhafte Datensicherheit und die schleichende Weiterentwicklung kein Abbruch tun. Was mir die App jedoch unsympathisch macht, sind viel mehr die Widersprüche der Gründer und die Bindung an eine Rufnummer. Ach ja, und die Preispolitik ist reichlich willkürlich: Erst war die App komplett kostenlos, dann wurde ein Preis für die Android-Nutzer eingeführt. Im Sommer 2013 bekam auch die iPhone-Version ein Preisschild (0,89 Euro), allerdings wird erst nach einem Jahr Nutzung kassiert. Wer zum Zeitpunkt der Umstellung bereits WhatsApp-Nutzer war, zahlt sein Leben lang nichts.

Bindung an eine Rufnummer

Meine Tochter würde WhatsApp liebend gern auf ihrem iPod touch nutzen. Das funktioniert aber nur mit WLAN und hat keine SIM-Karte. Doch diese Tatsache stört andere Messenger wie Skype, Facebook Messenger oder Apples Nachrichten auch nicht. Im Netz findet man diverse Anleitungen diese Limitierung für WhatsApp beim iPod touch zu umgehen, doch bei mir haben sie alle nicht funktioniert. Egal, ich schicke ihr eh keine Nachrichten mehr, weil ich über die lustigen Dinge des Web-Lebens stets am Laptop stolpere und von dort keine Links per WhatsApp verschicken kann. Also bleibt die App meinerseits ungenutzt, auch weil die Kettenbriefe nerven, die mich irgendwie regelmäßig erreichen.

Mit der Bindung an eine Rufnummer ist in der Regel auch nur die Nutzung eines Geräts möglich. Ich verwende aber noch ein Android-Smartphone mit einer anderen SIM-Karte. Dort würde ich nur ungern ein neues WhatsApp-Konto eröffnen. Warum kann die Identifikation nicht über einen Benutzernamen oder eine Mailadresse laufen, so wie es die anderen machen? Immerhin kann man bei einem Rufnummern-Wechsel sein kostenfreies Alt-Nutzer-Konto mitnehmen (Einstellungen/Account/Nummern ändern). Wer allerdings zu oft sein Smartphone wechselt, kann laut FAQ vom Verifizierungsprozess ausgeschlossen werden. Die dann anfallenden 89 Cent pro Jahr sind nicht viel, aber das Beispiel verdeutlicht das Dilemma der Koppelung an die Rufnummer. Dabei haben die WhatsApp-Macher zu Beginn vieles richtig gemacht. Das war in erster Linie die Verfügbarkeit für alle wichtigen Betriebssysteme. Während Apples Nachrichten (iMessages) auf iOS-Geräte begrenzt ist, gibt es WhatsApp für iOS, Android, Blackberry, Nokia S40, Windows Phone und Symbian. Man muss nicht lange darüber nachdenken, was der Empfänger für ein Gerät nutzt, die Nachricht kommt mit WhatsApp einfach an. Das dürfte ein wesentlicher Grund für den Erfolg und die heute 700 Millionen Anwender sein.

WhatsApp Nutzer weltweit

Fünf Jahre vergehen, dann wir endlich verschlüsselt

Außer der Push-to-Talk-Funktion sowie der Teilen-Option in manchen Webseiten ist in Sachen Funktionalität in den letzten Jahren nicht viel passiert. Es dauerte fünf Jahre, bis im November 2014 WhatsApp mithilfe von TextSecure der Open Whisper Systems endlich eine sichere Ende-zu-Ende-Verschlüsselung der Inhalte eingeführt hat. Allerdings erstmal nur in der Android-App, die iPhone-App folgt später. Dass diese Verschlüsselung im Post-Snowden-Zeitalter dazugehört, zeigt Threema. Die App schaffte es zum Glück auf Platz Eins der beliebteste Apps 2014. Neue Konkurrenz in Sachen Funktionen und Gerätenutzung kommt von Wire, hinter dem Messenger steckt u.a. der Gründer von Skype. Doch viel weiter als zur Einrichtung auf dem iPhone bin ich bei Wire noch nicht gekommen, das Menü überfordert mich.

WhatsApp
WhatsApp-Nutzer in Deutschland – Wikipedia

Scheunentorgroße Sicherheitslücken

Die Geschichte von WhatsApp ist eine Abfolge haarsträubender Sicherheitslücken. Anfänglich wurden die Rufnummern komplett unverschlüsselt aus dem iPhone-Telefonbuch auf die Server von WhatsApp in den USA übertragen. Gleiches galt für die Übermittlung der Textnachrichten zwischen Sender und Empfänger. Fremde konnten mitlesen, den Status anderer Personen ändern und mit einer bestimmten Zeichenfolge die App zum Absturz bringen.

Apple schmiss die App Anfang 2012 aus dem App-Store. Ein paar Tage später erschien eine überarbeitete Version, doch angeblich hatte der Rauswurf nichts mit Sicherheitslücken zu tun. Das zu glauben, fällt schwer. Forscher werteten die Status-Updates von 1.000 anonymen Nutzern aus und lesen daraus interessante Verhaltensmuster ab.

Wer das alles nicht will, kann die App natürlich vom iPhone löschen, doch damit ist es nicht getan. Neu-Nutzer sahen plötzlich Nachrichten und Gruppen-Chats fremder Menschen auf ihrem Smartphone in WhatsApp. Das liegt ebenfalls an der Koppelung zwischen Rufnummer und Nachrichten. Angeblich werden bei Nicht-Nutzung alle Nachrichten nach 45 Tagen gelöscht. Doch das scheint nicht in jedem Fall hinzuhauen oder die Mobilfunkprovider vergeben abgemeldete Rufnummern deutlicher schneller wieder. Die Fälle zeigen: Einfach WhatsApp vom iPhone löschen, reicht nicht. Man muss App und Gerät voneinander “trennen” (Einstellungen / Account / Meinen Account löschen).

Im Herbst 2014 führen massive Nutzerproteste dazu, dass die zwei blauen Haken deaktiviert werden können. WhatsApp hatte eine Zwangs-Lesebestätigung eingeführt, die sich nicht abschalten ließ. Der Absender konnte kontrollieren, ob der Empfänger die Nachricht erhalten und wann er sie gelesen hatte. Das setzte den Empfänger natürlich unter Druck. Auch die Ausrede: “Habe ich nicht bekommen” war damit unmöglich.

Die Widersprüche

Die blauen (Kontroll-)Häkchen und die diversen Löcher, bei denen Angreifer auf Nutzerdaten zugreifen konnten, passen nicht zum Bild, dass der Gründer gern von sich zeichnen lässt. Jan Koum wurde 1976 in der Ukraine geboren und verbrachte dort seine Jugend. Er bekam mit, wie die Mutter sensible Dinge nicht am Telefon erzählte, weil sie Angst vor Bespitzelung hatte. Im Unternehmens-Blog schreibt er: “Above all else, I want to make sure you understand how deeply I value the principle of private communication. For me, this is very personal. I was born in Ukraine, and grew up in the USSR during the 1980s. One of my strongest memories from that time is a phrase I’d frequently hear when my mother was talking on the phone: “This is not a phone conversation; I’ll tell you in person.” The fact that we couldn’t speak freely without the fear that our communications would be monitored by KGB is in part why we moved to the United States when I was a teenager.”

Mit 16 Jahre kommt Koum mit seiner Mutter nach Mountain View in Kalifornien. Er studiert Mathematik und Informatik, bricht jedoch ohne Abschluss ab. Er jobbt bei der Beratungsfirma Ernst & Young, wo er auch Brian Acton kennenlernt. Gemeinsam wechseln die beiden zu Yahoo. Dort jedes Produkt und jeden Service auf seine Werbevermarktung zu trimmen, prägt die beiden. Sie hassen es. Mit einem Zitat aus dem Film Fight-Club begründen sie den Werbeverzicht und die Entscheidung für eine Nutzungsgebühr.

Advertising has us chasing cars and clothes, working jobs we hate so we can buy shit we don’t need.
– Tyler Durden, Fight Club

Beim Mobile World Congress 2014 in Barcelona zeigt sich Koum der Presse mit einem alten Nokia-Handy, auf dem er nicht mal seine eigene App nutzen kann. Welcher Gründer macht so etwas? Was will er uns damit sagen?

WhatsApp agiert im Verborgenen

Wer hinter WhatsApp steckt und wo die ihr Büro haben, blieb lange unbekannt. Bis zum Kauf durch Facebook tauchten Jan Koum und Brian Acton in der Medien-Öffentlichkeit namentlich nicht auf. In der “Über“-Rubrik auf der Firmenwebseite steht noch heute zu den Gründern: “WhatsApp wurde von zwei Typen gegründet, die zusammen vorher 20 Jahre als Computerfreaks bei Yahoo! Inc. gearbeitet haben.” Namen werden nicht genannt. Auch der Foto-Ordner bei den Pressematerialien ist zum Zeitpunkt dieser Veröffentlichung komplett leer. In der Rubrik “Presse” findet man keinen Ansprechpartner. Ich hatte 2012 Schwierigkeiten, die externe PR-Dame für WhatsApp ausfindig zu machen und Fragen zum Verschwinden aus dem App-Store zu stellen. Irgendwann erhielt ich einen abendlichen Rückruf und das Gespräch verlief sehr einseitig, nur erhielt ich keine Antworten auf meine Fragen.

Die Büroadresse von WhatsApp findet man nach längerer Suche in den Allgemeinen Geschäftsbedingungen. Doch selbst wer die Adresse kennt, findet das Büro nicht unbedingt. Bei der Recherche stoße ich immer wieder auf Erfahrungsberichte, dass Menschen um den Block irren, bevor sie die richtige Bürotür finden. Die Zentrale von WhatsApp liegt in einem unauffälligen Gewerbepark im kalifornischen Santa Clara, nur einen Steinwurf von der Apple-Zentrale entfernt.

WhatsApp Entwicklung Nutzer im Vergleich zu anderen Netzwerken

War das 19 Milliarden Dollar wert?

Den Facebook-Kaufvertrag unterschreibt Gründer Koum nicht im WhatsApp-Büro und auch nicht in Menlo Park, wo Facebook seinen Hauptsitz hat. Dafür fährt er zum ehemaligen Gebäude der Wohlfahrt in Mountain View. An der Tür unterschreibt er den 19 Milliarden Dollar Deal, also genau dort, wo er einst für Lebensmittelmarken angestanden hat. Das symbolträchtige Foto gibt der ansonsten pressescheue Gründer einem Forbes-Journalisten. Für mich eine Erfolgsgeschichte, die zu schön ist, um wahr sein zu können.

Bleibt die Frage: Hat Facebook im Februar 2014 die löchrigsten Code-Zeilen des gesamten Internets gekauft? An die Macher wären sie früher günstiger gekommen. Brian Acton hatte sich 2009 beim Netzwerk beworben und wurde abgelehnt. Zuckerberg dürfte es ausschließlich um die Nutzer gehen. WhatsApp ist bei jüngeren Menschen beliebter als Facebook, außerdem hat der grüne Messenger in vielen Ländern Südamerikas, Asiens und auch Europas, die Nase vor dem Facebook Messenger. Im WhatsApp-Blog heißt es: “we’ve grown fastest in countries like Brazil, India, Mexico, and Russia, and our users are also sharing more than 700 million photos and 100 million videos every single day.
Whatsapp nach Ländern Onavo StatistikSomit darf WhatsApp nach der Übernahme unter eigenem Namen und als eigenständige App weitermachen – werbefrei! Einziges sichtbares Zeichen der neuen Eigentümer ist die Übernahme der Facebook-Daten, um so weitere Kontakte hinzuzufügen. Geld bringt der grüne Messenger dem blauen Netzwerk erst mal nicht. Im ersten Halbjahr 2014 machte WhatsApp 230 Millionen Dollar Verlust bei 15 Millionen Dollar Umsatz.

Wachstum, Wachstum, Wachstum, heißt die Devise. Es geht nur darum, weitere Nutzer zu gewinnen und zu halten. Dabei machen sich der Facebook Messenger und WhatsApp hausintern natürlich Konkurrenz. Doch der Facebook Messenger könnte eines Tages sang- und klanglos verschwinden. So erging es auch der Facebook Kamera-App. Instagram, im Frühjahr 2012 für eine Milliarde Dollar von Facebook übernommen, ist heute die führende Foto-App. Auch damals rauften sich viele Beobachter die Haare und fragten, ob das nicht zu viel Geld für ein paar Retro-Foto-Filter sei. Heute zeigt sich Mark Zuckerbergs Entscheidung als geschickter Schachzug. Die Mitgliederzahl hat sich seit dem Kauf auf 300 Millionen Nutzer verzehnfacht. Instagram ist heute größer als Twitter und in Sachen Promi-Selbstdarstellung die ungeschlagene Nummer 1.

So wie es aussieht, bleibt auch WhatsApp weltweit der Messenger Nummer 1 und kein Datenloch kann daran etwas ändern.

Nachtrag am 23. Januar 2015: Also mich überrascht das ja nicht, aber die Wired-Redaktion ist von der Browser-Version von WhatsApp enttäuscht, schreibt sogar von “Schrott“. Bislang können nur Android-Smartphone-Nutzer mit einem Chrome-Browser auf dem Desktop den umständlichen Weg über einen QR-Code-Scan gehen…

‎WhatsApp Messenger
‎WhatsApp Messenger
Entwickler: WhatsApp Inc.
Preis: Kostenlos

1 Kommentar

  1. WhatsApp ist überholt!!!
    Ich kann es auch nicht verstehen, was so viele Leute an WhatsApp finden. Für mich als Apple Mac- und Devices-User ist WhatsApp inzwischen bestenfalls vierte Wahl.
    Das absolute NoGo-Kriterium ist mich, dass man durch die Rufnummernbindung immer über sein iPhone kommunizieren muss. Das ist bei meiner Nr. 3 Theema leider auch nicht anders. Dafür bekomme ich da eindeutig mehr Sicherheit.
    Wegen der besseren Integration ins Betriebssystem ist iMessage natürlich für mich die Nummer 1, aber da – zum Glück – noch nicht alle Menschen auf dieser Welt Apple User sind schätze ich an meiner Nr. 2, dem FaceBook Messeger die plattformübergreifenden Kommunikation.
    FB würde sich einen Bärendienst erweisen, wenn sie ihren Messenger einstampfen würden. Dann sollten sie lieber WhatsApp plätten und den Kunden den FB Messenger als Nachfolger anbieten!
    Der Hauptgrund, warum WhatsApp trotzdem noch so gut im Geschäft ist, ist doch der, dass niemand auf diesen Kommunikationskanal verzichten möchte, weil sonst doch ein paar unbeirrbare Kommunikationspartner auf der Strecke blieben.
    Interessant wäre mal, wie viele Nachrichten mit der einen oder anderen App versendet werden.

Kommentieren Sie den Artikel

Bitte geben Sie Ihren Kommentar ein!
Bitte geben Sie hier Ihren Namen ein